Bereits 2020 veröffentlichte Recherche Graz einen umfassenden Beitrag [1] über die Protagonistin eines weiteren Türchens unseres Adventkalenders: Annika Stahn, auch bekannt als „Berit Franziska“, „Annika Franziska“ oder “Elisabeth Franziska” – Pseudonymen, unter denen sie für einige Jahre als eine der bekanntesten Aktivistinnen der neofaschistischen „Identitären“ in der Öffentlichkeit auftrat.
Stahns politische Karriere lässt sich zumindest ins Jahr 2016 zurückverfolgen. In ihrer damaligen Heimat Tübingen versuchte sie in der gemischtgeschlechtlichen Student*innenverbindung „AV Hibernia Tubingensis“ Fuß zu fassen. Nach Angaben der “Hibernia Tubingensis” konnte ihre demokratiefeindliche Entwicklung von der Verbindung nicht weiter mitgetragen werden, sodass ihre Probezeit vorzeitig beendet wurde. Kein Problem sondern vielmehr Voraussetzung war eine solche Geisteshaltung für die neofaschistische „Identitären Bewegung Schwaben“, in der Stahn ihre politische Heimat fand und 2016 aktiv wurde. 2017 wurde sie zudem im Zusammenhang des AfD-Wahlkampfes gesichtet und knüpfte Kontakte zur IB-Österreich, an deren geschichtsrevisionistischem Fackelzug am Wiener Kahlenberg sie teilnahm. Im Folgejahr betreute sie Infotische der neofaschistischen Gruppe (z.B. am 18.4.2018 in Wien sowie am 24.11.2018 in Graz) oder beteiligte sich an Kundgebungen wie jener gegen den UN-Migrationspakt am 4.11.2018 in Wien. Ihren Durchbruch bzw. größere Bekanntheit erlangte die Aktivistin jedoch als Gesicht und Repräsentantin des Antifeminismus der Identitären. 2017 initiierte Stahn beispielsweise den explizit antifeministischen, inzwischen erfreulicherweise aus dem Netz verschwundenen Blog „radikal feminin“. Mit Hashtags wie „#supportyourlocalpatriarchy” sprachen sich die Beteiligten offen für das Patriarchat aus und begriffen den Feminismus als die Wurzel allens Übels. Die enge Verbindung zu den Identitären zeigte sich u.a. daran, dass der Blog auf der Website der Identitären Deutschland offen beworben wurde oder Martin Sellner für den gleichnamigen Youtube-Kanal ein Interview mit Stahn über „Genderwahn“ und Antifeminismus führte. Auch einschlägig rechtsextremen Magazine wie das Drecksblatt InfoDirekt und das Nazi-Bravo für Identitäre, das deutsche „Arcardi Magazin“, portraitierten „Radikal Feminin“, wobei zweiteres Stahn sogar zum Covermodel machte.
Wie viele identitäre Projekte war auch „radikal feminin“ von kurzer Lebensdauer. Bereits ein halbes Jahr nach der Gründung wurde es inoffiziell von der im Januar 2018 gestarteten identitären Kampagne „120db“ abgelöst. Dabei versuchten mehrere identitäre Aktivist*innen mit einer auf Youtube veröffentlichten Botschaft, eine Kampagnenseite sowie einigen unbeachteten Aktionen eine Art #metoo von Rechts zu starten. Das Projekt scheitere jedoch kläglich, da ihnen nicht viel mehr einfiel als auf altbekannte und inzwischen echt abgedroschene Weise das Thema sexualisierte Gewalt mit rassistischen und antifeministischen Narrativen zu besetzen. Auch im ersten 120db-Video war Annika Stahn zu sehen.
In den Folgejahren folgten einige größere Änderungen in Stahns Leben. Einerseits zog sie im Frühjahr 2018 nach Wien um und andererseits begann sie eine Karriere als professionelle Kampfsportlerin im österreichischen Kickbox-Nationalteam der World Kickboxing Federation unter dem nicht sehr deutsch klingenden Namen „Piroschka“. Als Schule dürfte hierfür das wöchentliche Boxtraining der „Wiener IB-Mädels“ gedient haben, welches von Stahn über soziale Medien beworben wurde. Für ihre Kämpfe trainierte Stahn jedoch im einschlägig bekannten Wiener „Octagon pro Gym“ und erkämpfte im Jahr 2019 ihren ersten Staatsmeisterschaftstitel sowie einen Titel als Vizeeuropameisterin. Stolz heißt es dazu auf der Homepage des Gyms: „Unsere Annika „PIROSCHKA“ hat bei der Europameisterschaft im Oktober 3 x Silber und Vize Europameister Titel gewonnen“. Darüber hinaus betätigte sich die neofaschistische Aktivistin auch als Referee. Stahns Biografie macht deutlich, dass auch neofaschistische Frauen sich nicht nur im Kampf für Heimat, Volk und Vaterland engagieren, sondern sich auch im Kampfsport für den herbeiphantasierten Endkampf rüsten.